Kunst in der Kneipe: Aktivierung der “Creamcheese”-Objekte
Für die Rekonstruktion der legendären Düsseldorfer Künstlerkneipe “Creamcheese” im neuen Kunstpalast hat das RED die originale künstlerische Ausstattung untersucht und restauriert. Dabei war eine Kernfrage, wie viel Patina für eine authentische Präsentation notwendig und akzeptabel ist.
Von
Alice Orthmann,
Melissa David
Veröffentlicht
28.09.2023
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In den 1960er und 70er Jahren traf sich die Düsseldorfer Kunst- und Musikszene im “Creamcheese”, dem legendären Nachtclub im Herzen der Altstadt. Die Räumlichkeiten, die 1967 in der Neubrückstraße 12 eingerichtet worden waren, bestanden aus einer Bar mit Tanz- und Veranstaltungssaal und wurden durch verschiedene Veranstaltungen und Happenings bespielt. Lichtinstallationen und Closed-Circuit-Installationen auf einer Fernsehwand gehörten zum Tagesgeschehen und Veranstaltungen wie Lesungen, Performances, Shows und Konzerte fanden regelmäßig statt. Außerdem beherbergten die Räumlichkeiten zahlreiche Kunstwerke, die von namhaften Künstlern der Düsseldorfer Kunstszene für den Ort geschaffen worden waren. Zu diesen Künstlern gehören Heinz Mack, Lutz Mommartz, Günther Uecker, Daniel Spoerri, Gerhard Richter und Ferdinand Kriwet. Der Gründer der Documenta Arnold Bode sagte 1968 über das Creamcheese "Das ist keine Kneipe, sondern als Raum ein Gesamtkunstwerk” [1]. Für Heinz Mack war der Nachtclub eine “Erholung von der Stille”, und Günther Uecker beschrieb den Ort als "programmiertes Lichttheater", in dem sich die Menschen in Form von einer Performance von Musik, Tanz und Licht selbst inszenieren konnten [2].
Aus der Kneipe ins Museum
Rund 10 Jahre lang bestand das Creamcheese als beliebte Adresse in der Düsseldorfer Nachtszene. Als 1976 die Räumlichkeiten in der Neubrückstraße aufgrund von Baufälligkeit saniert werden mussten, zog das Creamcheese in die Flingerstraße 11 um, wo die große Beliebtheit des Clubs nicht erhalten werden konnte. Nach finanziellen Problemen entschlossen sich die Eigentümer, Bim und Joachim Reinert, den Club wenig später zu schließen. Das künstlerische Inventar des Clubs wurde dem damaligen Kunstmuseum Düsseldorf (heutiger Kunstpalast) zum Kauf angeboten. Unter anderem gingen somit 1978 die Fernsehwand, Heinz Macks verspiegelte Bar Der Mund (1967), Gerhard Richters Wandgemälde PIN-UP (1967), Adolf Luthers Hohlspiegelobjekt Spiegel (1967), Daniel Spoerris Fallenbild Wir hängen die Theke an die Decke (1968), sowie Günther Ueckers Metall-Lichtskulptur Der Nagel/Electric Garden (1967) in den Besitz des Museums über.
Der Zustand der Objekte erzählte zu diesem Zeitpunkt von ihrer jahrelangen Zeitzeugenschaft in den stark belebten und verrauchten Räumen des Creamcheese. Auf den Oberflächen lag eine dicke Patina aus Schmutz und Nikotin, Richters Wandgemälde war durch die davor sitzenden Gäst:innen abgerieben und auf Daniel Spoerris Fallenbild hatten Verfall und die Aktivitäten der Kneipenbesucher:innen eigene Änderungen verursacht. Aus Restaurierungsberichten und Korrespondenzen geht zudem hervor, dass bei Luthers Spiegel sieben der 27 Hohlspiegel zerbrochen waren, die der Künstler persönlich anlässlich des Ankaufs durch das Museum ersetzte. Aber auch der Ausbau und Transport hatte insbesondere an den großformatigen Einbauten wie Heinz Macks Bar oder Richters Wandgemälde Spuren hinterlassen.
Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene
Nach dem Eingang in die Sammlung des Kunstmuseums wurden die Creamcheese-Objekte restauriert und dann über die Jahre wiederholt als Teil der Sammlungspräsentation des Museums ausgestellt, so 1985, 2001 und 2011 [3, 4]. Auch wenn die Objekte stets als Ensemble mit deutlichem Bezug zum Ursprungsort gezeigt wurden, provozierte die Entkontextualisierung und Musealisierung der ortsspezifischen Objekte aus dem damaligen Gesamtkunstwerk immer wieder Diskussionen. Die Problematiken der Musealisierung hat Tiziana Caianiello 2005 mit ihrer Dissertation “Der Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Creamcheese im museum kunst palast: zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre” thematisiert.
Aber auch manche der Künstler haben ihren gemischten Gefühlen zur Musealisierung der Objekte Ausdruck gegeben. Ohne den besonderen Ort und Zeitpunkt des Creamcheese waren die Objekte zu Relikten geworden. So bezeichnete Heinz Mack die Museumspräsentation von 1985 sogar als Friedhof: “Es war alles tot. Das hatte überhaupt keinen Reiz für mich, wirklich, wie tote Gegenstände" [2].
Neue Aktivierung
Wenn im November 2023 der Kunstpalast nach umfangreicher Renovierung wiedereröffnet, werden auch die Objekte aus dem ehemaligen Creamcheese einen festen Platz in der neuen Sammlungspräsentation haben. Doch anders als in früheren Präsentationen soll der Raum nun wieder als Kneipe und Veranstaltungsort mit Ausschank genutzt werden und ein immersives Erlebnis der maßstäblich rekonstruierten Räumlichkeit und dem darin präsentierten, originalen, künstlerischen Inventar bieten. Auch wenn keine museale Rekonstruktion den Zeitgeist und die Atmosphäre des echten Creamcheese wiederbeleben kann, so soll die Raumerfahrung dessen künstlerische Vision einfangen und an die Besucher:innen vermitteln. Um einen ausgewogenen Kompromiss zwischen Machbarkeit, konservatorischen Anforderungen und Authentizität zu finden, wurde das Projekt interdisziplinär konzipiert und ausgeführt, mit einem Team aus Architekt:innen, Kurator:innen, Museumstechnikern und Restaurator:innen. Auch die Künstler Günther Uecker, Heinz Mack und der Nachlass von Ferdinand Kriwet waren in den Prozess einbezogen.
In Vorbereitung der neuen Aktivierung des Creamcheese wurden die zuvor genannten ortsspezifischen Arbeiten von Richter, Luther und Spoerri, der Nagel von Uecker, sowie die Fernsehwand durch das Restaurierungszentrum Düsseldorf (RED) untersucht und konservatorisch und restauratorisch behandelt. Zur Ermittlung eines Erhaltungskonzepts mussten die Objekte sowohl einzeln, als auch als Komponente des Gesamtkunstwerks auf ihre Materialität, Konstruktion und Geschichte hin untersucht werden. Insbesondere zwei Fragen haben die Arbeit am RED geleitet: Wie finden wir eine Balance zwischen konservatorisch notwendigem Schutz der Objekte und angestrebter authentischer, immersiver Erfahrbarkeit? Und welche Bedeutung und Erhaltungswürdigkeit wollen wir Änderungen und Schäden beimessen, die als Resultat der komplexen Objekt- und Ausstellungsgeschichte entstanden sind?
Daniel Spoerris Theke
Die Komplexität dieser Fragestellungen wurde besonders bei dem Kunstwerk Wir hängen die Theke an die Decke von Daniel Spoerri deutlich. Das “Fallenbild” [5] besteht aus zwei langen Holztafeln, die Spoerri bei einer Aktion im Creamcheese auf die Bar gelegt und dann am Ende mit Freunden alle darauf abgelegten Gegenstände darauf festgeklebt hatte.
Im Laufe der Objektgeschichte waren viele der befestigten Gegenstände - wie Gläser, Zigarettenpackungen und Streichholzschachteln - verloren gegangen, beschädigt oder ersetzt worden. Objekte aus Papier waren extrem vergilbt, Farben verblasst und Klebstoffe verbräunt. Darüber hinaus hatte sich eine Schmutzschicht angesammelt, die insbesondere die transparente und reflektierende Oberfläche der Gläser erheblich beeinträchtigte. Durch die Auswertung historischer Ausstellungsansichten und anderer Quellen hat das Team am RED eine Zeitschiene erarbeitet, die nachvollziehbar macht, wann welche Spuren und Schäden zum Objekt gekommen sind. So konnte unterschieden werden in Veränderungen, die vor und nach der Musealisierung des Objektes entstanden sind und Phänomene dementsprechend gewertet werden. So wurde bei der Oberflächenreinigung nur die oberflächlichste und am wenigsten bindende Schmutzschicht entfernt. Fehlstellen durch Beschädigungen und verlorene Teile wurden nicht ergänzt, um den Zeugnischarakter des Objekts zu erhalten; ein Ersetzen z.B. von fehlenden Teilen wäre auch mit einem erheblichen Eingriff ins Original einhergegangen. Eine zusätzliche Maßnahme ergab sich bei dem Werk aufgrund der besonderen Empfindlichkeit der Verklebungen gegenüber Erschütterungen und der potenziellen Gefahr, die von herabfallenden Gegenständen ausgeht. Das Team entschied sich daher für die Hinzufügung einer Plexiglashaube.
Gerhard Richters Wandgemälde
Bei dem Wandgemälde PIN-UP von Gerhard Richter spielte das Einordnen von Schäden anhand von alten Fotos ebenfalls eine große Rolle. Das Objekt hatte bereits im Creamcheese zahlreiche Fehlstellen, zusätzliche Schäden entstanden beim Abbau und Transport. Altretuschen und alte Schutzüberzüge, die vor der ersten Ausstellung 1985 aufgebracht wurden, waren inzwischen verdunkelt und vergilbt und ließen die Malerei fleckig aussehen. Im Zuge der aktuellen Restaurierung wurden die älteren Schäden aus der Creamcheese-Zeit als Spuren der Geschichte belassen und nur die störenden Altrestaurierungen aufgewertet, indem diese durch eine neue Retusche optisch integriert wurden. Als präventive Maßnahme entschied sich das Team, eine Verglasung vor dem Kunstwerk anzubringen, um zu verhindern, dass neue Schäden durch Getränke oder vor dem Objekt sitzende Besucher:innen entstehen.
Günther Ueckers Nagel
In der Dissertation von Caianello wird belegt [2], dass Ueckers Nagel ursprünglich als “Electric Garden” bekannt war und mit einem Hochfrequenzgerät und Leuchtstoffröhren ausgestattet Lichtblitze und Geräusche erzeugen konnte. Diese Funktion wurde jedoch - zum Schutz der Clubbesucher - bereits zu Creamcheese-Zeiten mit einfachen Neonröhren ersetzt. Für die aktuelle Rekonstruktion im Kunstpalast war es dem Künstler wichtig, dass die Neonröhren weiterhin Bestandteil des Werkes sind. Sämtliche Oberflächen sowohl des Nagels als auch seiner Umhausung waren stark verschmutzt und erforderten eine Oberflächenreinigung. Ein Vergleich der Aluminiumplatten mit historischen Abbildungen legt nahe, dass es in der Vergangenheit undokumentierte Überarbeitungen des Werkes gegeben hat, die eine zeitliche Einordnung bestehender Verfärbungen, Deformationen und Farbspuren erschweren. Daher wurden die Reinigungsmaßnahmen auf ein Minimum beschränkt und z.B. die Farbspuren auf den Platten erhalten.
Adolf Luthers Spiegel
Auch die Hohlspiegel von Luthers Spiegel erforderten eine behutsame Oberflächenreinigung. Das Werk wies keine historische Patina auf, sondern nur Schmutzablagerungen. Da diese hygroskopische, alkalische Salze enthalten und damit auch korrosive Eigenschaften, war ihre Entfernung eine präventiv-konservatorische Maßnahme. Mit der Entfernung der Ablagerungen gelang es auch, den Glanz der Hohlspiegel und somit die vom Künstler intendierte Ästhetik wieder zu gewinnen [6].
Fernsehwand und Kriwet-Projektion
Ein zentrales Ausstattungsstück des Creamcheese war auch die Fernsehwand, die aus einem Regal mit 24 alten Fernsehgeräten bestand. Eine umfangreiche Recherche durch den neuen RED-Fachbereich für Medienkunstrestaurierung ergab, dass auf den Geräten sowohl (z.T. verzerrte) Live-Fernsehsignale gezeigt wurden, als auch eine Closed-Circuit-Übertragung einer Kamera, die auf die Tanzfläche bzw. den “Aktionsraum” im hinteren Bereich des Creamcheese gerichtet war. Für die neue Aktivierung wurde wieder eine Fernsehwand aufgestellt. Ein Teil der historischen Fernseher wird derzeit dafür im CRT Lab in Karlsruhe repariert. Heute werden auf den Fernsehern Störsignale, Videomaterial und, angelehnt an das historische Konzept, eine Closed-Circuit-Übertragung der Bar gezeigt. Aufgrund von Platzgründen konnte der “Aktionsraum” nicht rekonstruiert werden. An seine Stelle werden nun originale Projektionen von Ferdinand Kriwet an die Wand gespielt. Einer Idee von Konrad Fischer-Lueg nachempfunden, ist eine weitere Wand mit phosphoreszierender Farbe bestrichen, die bei Betätigung eines Schwarzlicht-Schalters die Silhouetten der davorstehenden Besucher:innen abbildet. Gegenüber findet sich das Herzstück des Raums, eine detailgetreue Rekonstruktion der Bar von Heinz Mack.
Neue Möglichkeiten durch konservatorische Konzepte
Das Creamcheese bildet einen ganz besonderen Moment der Düsseldorfer Kulturgeschichte ab, der durch die Rekonstruktion des immersiven Environments auch jüngeren Generationen wieder besser vermittelt werden kann. Die Objekte erzählen durch ihre beanspruchten Zustände und Spuren weiterhin ihre außergewöhnlichen Geschichten und offenbaren trotzdem die künstlerische Intention, aus der heraus sie vor über 50 Jahren entstanden sind. Die konservatorische und restauratorische Auseinandersetzung mit den Kunstwerken führte oft zur Wiederentdeckung ihrer komplexen Geschichte und der künstlerischen Absichten, die ihrer Entstehung zugrunde lagen. Im interdisziplinären Dialog haben sich die Projektbeteiligten bemüht, eine stimmige Ausgewogenheit zwischen Machbarkeit, Konservierungsanforderungen und der Schaffung eines authentischen Erlebnisses zu finden. Maßnahmen der präventiven Konservierung, wie z.B. Verglasungen, die evtl. das authentische Erlebnis stören, kamen nur dann zum Einsatz, wenn durch die Unterlassung ein zu großes Risiko bestehen würde. So können die Creamcheese-Objekte in einem Zustand erhalten und ausgestellt werden, der zwar nicht "original" ist, den Besucher:innen aber dennoch ein tieferes Verständnis zu ihrem historischen Kontext vermitteln kann.
Bibliografie
[1] Creamcheese Gesamtkunstwerk im Düsseldorf seit 1967. Zugegriffen 27. September 2023. https://www.creamcheese-ev.de/.
[2] Caianiello, Tiziana, 2005. Der Lichtraum (Hommage à Fontana) und das Creamcheese im Museum Kunstpalast: zur Musealisierung der Düsseldorfer Kunstszene der 1960er Jahre. Kultur- und Museumsmanagement. Bielefeld: Transcript, 95-222
[3] Andree, Rolf, 1986. Führer durch die Sammlungen. 20. Jahrhundert, Gemälde, Skulpturen, Objekte. Herausgegeben von Kunstmuseum Düsseldorf. Bd. 2
[4] Martin, Jean Hubert, Barbara Til, und Andreas Zeising (Hrsg.), 2002. Künstlermuseum. Bogomir Ecker, Thomas Huber. Eine Neupräsentation der Sammlung des Museum Kunst Palast, Düsseldorf. Düsseldorf: Stiftung Museum Kunst Palast
[5] Definition “Tableau Piège / Fallenbild” auf Website Daniel Spoerri, zugegriffen 29. August 2023. http://www.danielspoerri.org/web_daniel/deutsch_ds/werk_einzel/05_fallenbild.htm.
[6] Website Adolf-Luther-Stiftung. „Leitlinien der Restaurierung“. Zugegriffen 29. August 2023. https://www.adolf-luther-stiftung.com/stiftung/restaurierung/.